Zu DDR-Zeiten war sie mir unbekannt, seit den 90er Jahren hingegen ist sie mir sehr vertraut: Die jüdische Lyrikerin Mascha Kaléko (1907-1975).
Geboren in Galizien (der heutigen Ukraine), aufgewachsen in Deutschland, insbesondere in Berlin, wo sie viele Jahre als Journalistin und Schriftstellerin arbeiten konnte, bis sie anno 1938 mit ihrer Familie flüchten mußte. Das Exil in New York und später in Jerusalem ist ihr nie zur Heimat geworden. Stets sehnte sie sich nach Berlin zurück.
Kalékos Gedichte sind von dieser Sehnsucht geprägt und atmen eine faszinierende Melancholie. Einige Texte jedoch reichen über den Horizont der irdischen Sehnsucht hinaus und sind mir deshalb von besonderem Wert. Eines jener Gedichte sei hier (gewissermaßen als „Kostprobe“) angefügt:
Gebet
Herr: unser kleines Leben – ein Inzwischen,
Durch das wir aus dem Nichts ins Nichts enteilen.
Und unsere Jahre: Spuren, die verwischen,
Und unser ganzes Sein: nur ein Einstweilen.Was weißt du, Blinder, von des Stummen Leiden!
Steckt nicht ein König oft in Bettlerschuhn?
Wer sind wir denn, um richtend zu entscheiden?
Uns ward bestimmt, zu glauben und zu tun.Laß du uns wissen, ohne viel zu fragen.
Lehr uns in Demut schuldlos zu verzeihn.
Gib uns die Kraft, dies alles zu ertragen,
und laß uns einsam, nicht verlassen sein.
Eberhard Thieme