Nicht nur Bach in seinem „Weihnachtsoratorium“, sondern auch viele andere Komponisten haben die biblische Weihnachtsgeschichte (nach den Evangelisten Lukas und Matthäus) als Grundlage für ihre musikalischen Weihnachtserzählungen genommen.
Auch der Komponist Hugo Distler (1908-1942) hat dies so getan.
Die Besonderheit besteht darin, daß er seine Weihnachtsgeschichte (entstanden in schwerer Zeit anno 1933) durchgängig „a cappella“ (d.h. als reines Gesangswerk ohne Instrumente) gestaltet hat. Das erfordert von Chor und Solisten höchstes Können.
Thematisch erstreckt sich die Distlersche Weihnachtsgeschichte sehr weit: von der Verkündigung des Engels Gabriel an Maria bis zur Darstellung des Jesuskindes im Jerusalemer Tempel (Mariä Lichtmeß). Das könnte zu der Vermutung führen, daß die sich ergebenden langen Rezitative des biblischen Erzählers den Hörer schnell ermüden. Dies ist aber keineswegs der Fall; denn Distler unterbricht die Rezitative an geeigneten Stellen mit hervorragenden Chorsätzen. So verwendet er (neben Eingangs- und Schlußchor und mehreren Turba-Chören) den Weihnachts-Choral „Es ist ein Ros‘ entsprungen“, um ihn insgesamt sieben Mal zu variieren.
Diese Choral-Variationen durchdringen das ganze Werk; sie bilden gewissermaßen dessen geistliche Mitte.
Die „Weihnachtsgeschichte“ von Hugo Distler liegt in einer ausgezeichneten Aufnahme aus dem Jahre 1979 mit dem Thomanerchor unter Thonaskantor Hans-Joachim Rotzsch vor. Der höchst engagierte Chor und die durchweg exzellenten Solisten werden dem Meisterwerk Distlers überaus gerecht.
Wer sich auch einmal gern jenseits des Gewohnten auf Weihnachten einstimmen möchte, dem sei diese Aufnahme wärmstens empfohlen.
Eberhard Thieme