Kinotipp – SENECA

Seneca war reich, er hatte einen Posten als Erzieher am kaiserlichen Hof in Rom und war ein anerkannter Weisheitslehrer und Philosoph in der antiken Welt.

Doch als es mit seiner Karriereleiter eigentlich nicht mehr weiterging, fiel er bei Kaiser Nero in Ungnade und soll sich schließlich selbst töten. Das war schon tragisch, zumal ja Nero sein Schüler war.

Der Film „Seneca“ des deutschen Regisseurs Robert Schwentke (Der Hauptmann) zeigt zunächst die Ausbildung des jungen Nero und dann das Leben auf dem Landsitz Senecas, bis zum bitteren Schluss.

Vielmehr Handlung gibt es im Film nicht. Dem Regisseur scheint es in der Hauptsache um die Worte Senecas zu gehen – seine Philosophie. In die Philosophie passt dann auch, dass Seneca sehr gelassen die Nachricht vom kaiserlich angeordneten Tod vernimmt. Irgendwann hat er im Film mal gesagt, dass das Leben eher angenehm und lebenswert sei und der Tod nur ein kurzer Moment.

Aber dann lässt „Seneca“ sich sehr viel Zeit mir als Zuschauer beizubringen, dass das mit dem Sterben nicht so einfach ist – und dass man im Sterben letztlich sehr, sehr alleine ist. Selbst Seneca. Und der hatte ja alles durchgeplant – bis zum Schluss sollte der Schreiber Lucilus jeden Satz und jedes Wort für die Nachwelt festhalten. Das große Finale quasi.

Bild: Seneca – Probenbild mit John Malkovich

Ja, Seneca spielt immer irgendwie Theater und unterhält seine Gäste auch gern mit naturalistischen Theaterspielen: vor den Augen des Publikums werden dabei Sklaven getötet und danach zerstückelt. Auch das ist Seneca, ein Kind seiner Zeit. Der ganze Film ist im Stil einer griechischen Tragödie gedreht. Da wird debattiert und deklamiert. Alles ist antike Show.

Doch das klappt nicht, zumindest zum Schluss – da wird’s existentiell, sogar theologisch. Manchmal werden Bilder gebaut, die an den leidenden Christus am Kreuz erinnern.

Schauspielerisch ist „Seneca“ eine Paraderolle für John Malkovich als Seneca und Geradline Chaplin hat den Mut sich als alte Frau ohne Schminke und Verschönerung zu zeigen.

Immer wieder stellt die Inszenierung Gegenwartsbezüge her; dass die Geschichte um Nero und Machtmissbrauch auch eine Geschichte in unserer Zeit sein kann.

Und Seneca? Er ist der europäische Intellektuelle, der die Welt mit Anstand und Barmherzigkeit besser machen will – doch kläglich dabei scheitert. Wer bei „Seneca“ einen antiken Monumentalfilm oder prächtigen Kostümfilm erwartet, sitzt im falschen Kino.

„Seneca“ nimmt die Zuschauer mit auf eine Reise in unsere Welt: die europäische Welt mit dekadenten und weltuntergehenden Symptomen. Viel Gewalt und Blut ist auch zu sehen. Das hilft aber eher eine Wohlfühlatmosphäre im Zuschauerraum zu verhindern.

Ob letztlich „Seneca“ ein guter Film ist, ist schwer zu sagen. Aber ein Film, der mich als gut situierter Europäer nachdenklich macht – also das ist „Seneca“ allemal.

Thomas Bohne
Mitglied der Katholischen Filmkommission

 

SENECA
Deutschland, Marokko 2023
Regie: Robert Schwentke
Darsteller: John Malkovich, Geradline Chaplin, Louis Hoffmann, Alexander Fehling
Länge 112 Minuten
Kinostart: 23. März 2023

Bild: Kino-Plakat SENECA