Leipziger Gewandhaus-Ein transatlantisches Projekt: Zwei kreolische Messen im Medelssohn-Saal

Wer am Sonntagabend des 21. September den Mendelssohn-Saal des Gewandhauses aufsuchte, konnte ein außergewöhnliches Konzert erleben: Der Leipziger Gewandhauschor und das lateinamerikanische Ensemble Mestizo musizierten zusammen unter Leitung von Gregor Meyer.

Gregor Meyer, seit 2007 Leiter des Leipziger Gewandhauschores, hat ein Gespür für Spirituelles und den Mut zum Experiment. Diese gesunde Mischung führte in den vergangenen Jahren zu herausragenden Konzerten. Ich erinnere mich noch gut an die Aufführung des Lübecker Totentanz-Zyklus von Hugo Distler mit dem Sprecher Axel Thielmann (2009) oder auch an ein gesamtkünstlerisches Projekt mit Katharina und Anna Thalbach (2016). Auf genau dieser Linie lag auch das sonntägliche Chorkonzert.

Bild: Chor-Leiter Georg Meyer vor Chor und Ensemble

Im Zentrum des Konzertes standen zwei Hl. Messen in spanischer Sprache: die „Misa Criolla Venezolana“ von Humberto Sagredo Araya (1931-1998) und die „Misa Criolla“ von Ariel Ramirez (1921-2010). Beide Werke entstanden Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Exakt zu dieser Zeit fand in Rom das Zweite Vatikanische Konzil statt, auf welchem beschlossen wurde, dass die Gottesdienste in den jeweiligen Muttersprachen (und nicht nur in Latein) gefeiert werden dürfen. Diesen Befreiungsschlag hört man den beiden Kompositionen an. Feierliche Gesänge werden mit folkloristischen Melodien untersetzt und von einheimischen Instrumenten begleitet.

Dabei ist die venezolanische „Misa“ von Araya noch relativ schlicht gehalten. Man kann Anklänge an die Gregorianik spüren, und für die Solisten (Adam Sanchez (Tenor), Ivo Kovrigar (Bariton)) sind (wie in den klassischen Konzertmessen) eigene Gesangsstücke vorgesehen. Bei der argentinischen „Misa“ von Ramirez nun gestaltet sich die Komposition zu einem kompakten Kunstwerk. Chor- und Solistenteile greifen ineinander über, und von den Instrumentalisten wird höchste Virtuosität verlangt. Das zeigt sich besonders an den eingefügten instrumentalen Zwischenspielen. Virtuosität bewiesen die lateinamerikanischen Musiker auch bei den kürzeren Stücken, welche die beiden Messen umrahmten.

Verständlich, dass die Begeisterung der Zuhörer immer mehr in jubelnden Applaus überging. Als störend empfand ich dabei nur, dass auch zwischen den Teilen des Ordinariums (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei) geklatscht wurde. Für mich hatte das etwas Opernhaftes: Wie Szenenapplaus nach einer gutgesungenen Arie. Dies mag spitzfindig klingen; aber man stelle sich nur einmal vor, Bachs „h-Moll-Messe“ oder Beethovens „Missa solemnis“ würde durch Beifall unterbrochen. Jedenfalls ging dadurch ein ganzes Stück Tiefenwirkung verloren.

Dennoch gehörte ich am Ende zu denjenigen, die gleich mehrere Zugaben erklatschten. Geblieben ist dankbare Freude über ein gelungenes Konzert.

Eberhard Thieme

 

Bild: Programmheft