Kulturtipp – Kammerkonzert im Leipziger Gewandhaus mit Überraschungen

Fast ist es schon eine Tradition geworden, daß wir Oratorianer am Vorabend unseres Gemeinschaftstages das Kammerkonzert im Mendelssohn-Saal des Gewandhauses besuchen. Sonntag, 18 Uhr: das ist eine gute Zeit. Und da der „Kleine Saal“ immerhin 500 Plätze umfaßt, muß man die Karten nicht unbedingt vorbestellen. Am Sonntag, dem 12. März erlebten wir allerdings beim Kartenkauf bereits die erste Überraschung: Der Saal war beinahe ausverkauft; nur noch auf den letzten beiden Reihen gab es vereinzelte Plätze.

War dieser Andrang der Musikauswahl geschuldet? Klassische Streichquartette von Beethoven und Mendelssohn-Bartholdy sowie das legendäre Streichquintett von Franz Schubert: das könnte schon viele Kunstbegeisterte anlocken – viel mehr, als das bei modernen Komponisten der Fall ist. Oder hat das mittlerweile weltweit bekannte Gewandhaus-Quartett (anno 1808 gegründet und seither ununterbrochen wirkend) für Interesse gesorgt? Wie auch immer: Der große Zuspruch hat uns erfreut.

Bild: Gewandhaus – Abend

Die zweite Überraschung betraf die Musik selbst. Von Felix Mendelssohn-Bartholdy hatte ich bisher nur romantisch-lichte Werke kennengelernt, und seine Kammermusik ging weithin an mir vorbei. Umso eindrucksvoller trafen mich die schroffen Baß-Töne seines letzten Streichquartetts (f-moll, op. 80), welche er nach dem Tod seiner Schwester Fanny und kurz vor seinem eigenen Tod niederschrieb. Dagegen wirkte Beethovens „Harfenquartett“ (Es-Dur op. 74), welches zuvor erklang, fast schon moderat

Das Konzert erschien mir insgesamt zu lang. Drei solche musikalische Kostbarkeiten in zwei Netto-Stunden zu hören, bedarf schon einer großen Konzentration, und vermutlich sind uns etliche Details gar nicht zu Bewußtsein gekommen.

Umso größer war für mich die Überraschung, daß es dem Gewandhaus-Quartett (ergänzt durch den Cellisten Gautier Capucon) nach der Pause gelang, Schuberts „Schwanengesang“, das Streichquintett C-Dur in so ergreifender Weise zu interpretieren, daß bei mir keine Müdigkeit aufkam. Insbesondere beim Adagio zeigten die Musiker, daß sie nicht nur virtuos spielen können, sondern auch ein Gespür für Klänge haben, die alles Irdische überschreiten.

Es wird für uns nicht das letzte Kammerkonzert gewesen sein. Schau’n wir ‚mal, welche Überraschungen uns beim nächsten erwarten.

Eberhard Thieme