Mieze (Jella Haase) führt die Zuschauer aus dem off durch den Film. Quasi aus einer Perspektive von „oben“, „aus dem Himmel“ – aber das löst sich erst ziemlich am Schluss erst auf.
Zunächst wird die Flucht-Geschichte von Francis aus Afrika erzählt. Er gerät in Seenot und verspricht dem lieben Gott, fortan ein guter Mensch zu werden und der Gerettete landet in der Millionenstadt Berlin. Hier gibt es Parallelen zum Original von Alfred Döblin: Franz Bieberkopf als entlassener Strafgefangener besteht letztlich auch nicht den Kampf gegen die Mächte der Finsternis, und scheitert ebenfalls mit seinem Ansinnen, ein guter Mensch zu werden.
Zurück zur modernen Adaption um den Schwarzafrikaner Francis (Welket Bungué) der sich in einer genialen Szene in der Berliner Unterwelt sogar dann in Franz umbenennt, um seine Ankunft in Deutschland zu deklamieren.
Wie gesagt, im Stoff BERLIN ALEXANDERPLATZ geht es um die dunklen Mächte, die einem Menschen das Gutsein schwer oder gar unmöglich machen. Und wo es dann mannigfach Untergrund und zwielichtige Szenen zu Hauf gibt- eine Welt, die sich dem Berlin-Touristen und Gut-Bürger normalerweise verschließt. Es gibt natürlich auch Protagonisten der Unterwelt, dunkle Gestalten. Hier im neuen Film BERLIN ALEXANDERPLATZ ist es Reinhold (Albrecht Schuch), und Schuch gelingt mit seiner Darstellung beängstigend genial die Spannbreite des Dämonischen. Reinhold und Franz werden dabei fast ein Paar wie „Mephisto und Faust“, das den Ritt durch die Welt, besonders die Welt des Bösen antritt.
Regisseur Burhan Qurbani, als Kind mit Familie aus Afghanistan geflohen, gelingt nahezu ein Meisterwerk. Da holperts höchstens ein wenig, wenn die Dialoge zu scharf am Migranten-Klischee vorbeischrammen.
Aber sonst ist BERLIN ALEXANDERPLATZ ein gelungenes kammerspielartiges deutsches Epos mit einer afrikanischen Hauptfigur. Man spürt bei diesem dreistündigen Werk, dass der Regisseur mit seinem Team die Regeln des Erzählkinos gut beherrscht und auch weiß, wie man so ein Epos überzeugend zum Ende bringt, bis zu einer Himmelssicht.
Das ist auch trotz der Länge und trotz der Schwere des Themas vollkommen publikumstauglich, wenn es auch so manch „harte“ Szenen zu verkraften gilt.
Und nebenbei macht BERLIN ALEXANDERPLATZ auch Lust, mal das Original von Döblin wieder aus dem Bücherregal zu nehmen und sich in die geniale Struktur und Sprache hineinzulesen. Oder man nimmt sich die Fernsehserie von Rainer Werner Fassbinder über die gesamte Länge von über fünf Stunden mal vor und merkt, wie in der deutschen Kunstlandschaft immer noch Meisterwerke entstehen können.
Thomas Bohne
BERLIN ALEXANDERPLATZ
Deutschland 2020
Länge: 183 Minuten (Kinofassung)
Regie Burhan Qurbani
(lief bei der Berlinale 2020 im Wettbewerb – Competition)
KINOTIPP der Katholischen Filmkritik
Berlin AIexanderplatz, Deutschland 2020, bis zum 6.11.2023 in der arte-Mediathek