Schönes, Abgründiges, Abgründig-Schönes –

Das Goldmund-Quartett am 23. Oktober 2022 im Gewandhaus (Mendelssohn-Saal)

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Quartettgesellschaft“ gastierte das preisgekrönte Goldmund-Quartett am 23. Oktober im Mendelssohn-Saal des Leipziger Gewandhauses. Die vier jungen Männer aus München brachten Werke zu Gehör, die mit Fug und Recht als „Marksteine“ der Streichquartett-Geschichte gelten können: das „Lerchenquartett“ von Joseph Haydn, dem eigentlichen „Vater“ des Streichquartett-Spiels, das „Amerikanische Quartett“ von Antonin Dvorak und als Mitte und Schwerpunkt das 8. Streichquartett von Dmitrij Schostakowitsch.

Bild: Gewandhaus im Herbst

Zwischen Bach und Schostakowitsch gibt es (nicht auf den ersten, wohl aber auf den zweiten Blick hin) manch interessante Gemeinsamkeit: So verwandelten Beide ihren Namen in Töne. Allerdings: Wenn Bach die Töne b-a-c-h verwendete, geschah selbst das noch „soli deo gloria“, „allein Gott zur Ehre“. Wenn Schostakowitsch hingegen seine Initialen d-es-c-h zum Einsatz brachte, tat er dies, um „Ich“ zu sagen. Und am kräftigsten und deutlichsten stellt er dieses „Ich“ in seinem 8. Streichquartett dar. Schon die Umstände der Entstehung sind bemerkenswert: Nach dem Tode Stalins (1953) wurde der vielfach geschmähte Künstler plötzlich politisch anerkannt und mit Staatspreisen überhäuft. Zugleich erwartete die sowjetische Regierung von ihm aber Loyalität. Auf diesen äußeren Druck hin trat er gegen sein Gewissen im Jahre 1960 der kommunistischen Partei bei, was ihn in depressive Zustände führte. Kurz darauf, im Juli 1960, verbrachte er einige Tage als Gast der DDR im Kurort Gohrisch, in der Sächsischen Schweiz. Eigentlich sollte er in dieser landschaftlich schönen Gegend die Musik zu einem propagandistischen Film schreiben. Stattdessen aber stellte sich Schostakowitsch seiner inneren Zerrissenheit und schrieb das 8. Streichquartett – ein Werk voller Genialität, voll abgründiger Schönheit. Dieses opus summum fordert das Äußerste von den Interpreten. An manchen Stellen schien es so, als spiele nicht ein Quartett, sondern ein ganzes Streichorchester. Nach dem letzten Satz waren die Zuhörer so ergriffen, daß erst nach langer Stille der Beifall einsetzte.

Umrahmt wurde dieses schwergewichtige Werk von wunderschönen Melodien aus dem Oeuvre von Haydn und Dvorak. Mit der Schönheit in der Musik ist es aber eine eigene Sache: Sie kann ganz schnell zur Plattheit werden, wenn sie unprofessionell gestaltet wird. Daß dies an jenem Abend nicht geschah, ist den Künstlern des Goldmund-Quartetts zu danken. Sie verstanden es, neben der Fülle des Lichts auch die Schatten zu zeichnen. Daß sie damit auch den Abgründen Schostakowitschs gerecht wurden, muß sicher nicht extra betont werden.

Eine Sternstunde der Kammermusik!

Eberhard Thieme