Kulturtipp: Das Ballett „Schwanensee“ – einmal anders

Mehrere Jahre ist es her, dass ich letztmalig in der Leipziger Oper war; und es liegt sogar mehrere Jahrzehnte zurück, dass ich Tschaikowskis „Schwanensee“ erlebt habe. Als ich für die Ballettaufführung am 22. Dezember eine Karte bekam, hielt ich es darum für notwendig, mich über den Inhalt zu belesen. Aha, ein Märchen von der verzauberten Prinzessin Odette und ihrem Verehrer Prinz Siegfried.
Die Oper war an jenem Abend gut gefüllt – erfreulicherweise mit vielen jungen Leuten und Familien mit Kindern. Meine Vorfreude war entsprechend groß.

Als dann aber das Spiel begann, war ich irritiert. Statt einer Prinzessin tanzte eine Teenagerin. Und wo war der Prinz Siegfried? Zwei Akte lang suchte ich nach ihm vergebens.

In der Pause schaute ich dann in das Programm, welches ich vorher meinte ignorieren zu können, und da klärte sich dann alles auf: Odette war diesmal keine Verzauberte, sondern eine Jugendliche, die des „Goldenen Käfigs“ ihres reichen Elternhauses überdrüssig war und sich in eine Traumwelt, den „Schwanensee“, flüchtete.

Bild: Odette – Programmheft

Den Prinzen Siegfried konnte ich wirklich nicht finden, denn es gab ihn gar nicht, stattdessen nur einen Hauslehrer namens Benno. Nun konnte es auch nicht mehr verwundern, dass im 3. Akt der „Schwarze Schwan“ nicht als böse Verführerin, sondern als eine gute Freundin der Teenagerin zum Fest kam, was die Eifersucht des Stiefvaters so sehr erregte, daß er die „Schwarze“ tötete. Dieses Trauma verarbeitete die Hauptakteurin den ganzen 4. Akt lang. Mit Erfolg.

Die Moral von der Geschicht’: Man sollte sich nicht zu sehr auf das Internet verlassen, sondern sich vorher an der richtigen Stelle informieren.

Abgesehen von jener Irritation hatte die Choreographie von Mario Schröder etwas Großartiges. Und besonders beeindruckt war ich von dem originellen Bühnenbild und der entsprechenden Lichtgestaltung. Mit riesigen Vexierspiegeln wurden Effekte erzielt, die nachhaltig im Gedächtnis bleiben.

Vielleicht gehe ich wieder einmal in die Oper. Dann lese ich aber vorher das Programmheft.

Eberhard Thieme CO

 

Bild: Schwanensee – Programmheft