Es ist die 74. Berlinale, eines der größten Filmfestivals weltweit – nahezu eine halbe Million an Tickets, die verteilt oder verkauft werden. Allerdings gibt es die Tickets jetzt nur noch „online“ – der Vorteil: es gibt keine endlosen Warteschlangen mehr an den Kassen; der Nachteil: ohne iphone ist man „kurz entschlossen“ vor Ort quasi machtlos.
Und es ist die letzte Berlinale des künstlerischen Leiters Carlo Chatrian – und seine Handschrift war besonders beim Wettbewerb zu spüren: eine große Bandbreite an Filmen, im Stil wie in der Filmgattung – historische, politische, existentielle und auch unterhaltsame Musikfilme zum Beispiel.
Letzterer hieß GLORIA! und erzählte von Mädchen in einem „Internat“, die Musik machen und um die Anerkennung ihrer Begabungen kämpfen. Das macht dieser italienische Wettbewerbsbeitrag sehr unterhaltsam, allerdings nicht ganz ohne Lücken in der Logik des filmischen Erzählens.
Dagegen war eine wirklich gut erzählte Geschichte der österreichische Film DES TEUFELS BAD. Unglaublich was da im Europa des 17. und 18. Jahrhundert abgelaufen ist, auch unglaublich damals die Verirrungen in der Theologie – in beiden Kirchen!
Ein typischer Chatrian, so sage ich mal, war aus meiner Sicht BLACK TEA, eine asiatisch-afrikanische Geschichte von Taiwan koproduziert und europäisch mitfinanziert, viel durch Frankreich und Luxemburg. Schon in Locarno seinerzeit im Jahre 2013 konnte ich die Vorliebe Chatrians für asiatische Geschichten und asiatisches Kino erleben und bewundern, an diese Filme musste ich jetzt bei BLACK TEA öfters denken.
Aus dem Wettbewerb sah ich dann noch: ANOTHER END, eine doch recht komplizierte Science-Fiction-Geschichte über Bewusstseins-Verpflanzung und ich sah den Dokumentarfilm ARCHITECTON, der war bildgewaltig und machte nachdenklich zum Thema Beton und wie wir damit in Zukunft unserer Erde gestalten.
Wirklich enttäuschend war bei den von mir gesichteten Wettbewerbsfilmen der deutsche Film STERBEN: ein dreistündiges Epos ohne Originalität und Nachdenkenswertes und ohne erkennbaren Stil, manchmal aufgesetzt parodistisch und gerade da wirklich „daneben“. Dieser Film ist für mich eher ein erschütterndes Beispiel, wie deutsche Film-Förderung am Publikum und am Thema vorbeiführt.
Dagegen waren aber zwei Filme aus der Rubrik „Berlinale Spezial“ ein Volltreffer. Einmal der deutsch-tansanische Dokumentarfilm „Das leere Grab“ über das Recht in seiner Heimat bestattet zu werden und die tschechisch-amerikanische Netflix-Produktion „Spaceman“ über ein außerirdisches Wesen, das menschlicher ist als die Menschen selbst.
All das war zu sehen in der „Verti Music Hall“ an der Mercedes-Benz-Arena. Die Vorstellungen liefen diesmal wesentlich „freundlicher“ ab als noch im letzten Jahr. Diesmal konnte man im Veranstaltungsort zwischen den Vorstellungen bleiben. Eine Herausforderung ist nach wie vor das Toiletten-Angebot für Frauen, da helfen auch Unisex-Regelungen im Toilettenbereich wenig – Ergebnis: schier endlose Warteschlangen von Frauen. Zu einem Festival gehört natürlich auch Experimentelles, gerade mit Blick auf die deutsche Filmgeschichte nach der „68iger Revolution“.
Die Retrospektive war spannend: „Ich“ von Bettina Flitner, die auch da war und bekannte, dass sie das Filme-Machen inzwischen aufgegeben hat und ein Dokumentarfilm von Hellmuth Costard über das alternative Filmgeschäft in den 70igern im „westlichen Teil“ Deutschlands.
Alles in allem war die Berlinale im Jahr 2024 ein höchst erfreulicher Blick in die Welt des Films. Schade, dass das bisherige Leitungsteam mit Mariëtte Rissenbeek und Carlo Chatrian den „Staffelstab“ schon wieder abgibt.
Thomas Bohne